Die Struktur von Vogelfedern nachahmen

Vorbild Natur: Forschende haben ein neues Material entwickelt, das die Struktur der blauen Federn unter anderem eines nordamerikanischen Singvogels nachahmt – und weitere erstaunliche Vorzüge hat.

01.12.2023 von Deborah Kyburz, ETH Zürich

Ein nordamerikanischer Singvogel ist das Vorbild: Um das satte Blau seines Gefieders zu imitieren, haben ETH-​Forschende die Struktur nachgebildet, die für die Farbe verantwortlich ist.

In Kürze

  • Forschende der ETH Zürich haben ein Material erzeugt, das von einem Netz aus mikrometergrossen Kanälen durchzogen ist, gleich wie die Mikrostruktur einer Vogelfeder.
  • Dazu entwickelten sie eine neue Methode, die auf der Phasentrennung einer Polymermatrix und einer ölhaltigen Lösung beruht.
  • Das neue Material könnte in Batterien oder bei der Filtration eingesetzt werden.

Der Rotkehl-​Hüttensänger ist ein besonderer Vogel. Das Blau seines Gefieders ist einzigartig. Diese Farbe beruht allerdings nicht auf Pigmenten, sondern auf der speziellen Federstruktur. Unter dem Mikroskop betrachtet sind die Federn durchzogen von einem Netzwerk aus Kanälen. Diese haben einen Durchmesser von nur wenigen hundert Nanometern. Zur Einordnung: Ein Nanometer ist der Milliardste Teil eines Meters. Das Blau des Hüttensängers ist auch ETH-​Forschenden aus dem Labor für weiche und lebende Materialien vom ehemaligen ETH-​Professor Eric Dufresne aufgefallen. So sehr, dass sie es sich zum Ziel gesetzt haben, dieses Material zu imitieren. Mit einer neuen Methode haben sie es nun geschafft: Sie haben ein Material entwickelt, das die Struktur der Hüttensänger-​Federn aufweist und obendrein durch seine Nanonetzwerke Potenzial für praktische Anwendungen aufweist.

Von der Natur abgeschaut

Als Ausgangsmaterial verwendeten die Forschenden einen Polymergummi, der sich strecken und verformen lässt und durchscheinend ist. Diesen Gummi legten die Wissenschaftler in eine ölhaltige Lösung und liessen ihn mehrere Tage in einem Ofen bei Temperaturen von 60 Grad Celsius anschwellen. Danach kühlten sie das System herunter und nahmen den Gummi aus der ölhaltigen Lösung.

Unter dem Mikroskop konnten die Forschenden festhalten, wie sich die Nanostruktur des Gummis während der Prozedur verändert hatte – und erkannten ähnliche Netzwerkstrukturen wie jene, die der Hüttensänger-​Feder ihre blaue Farbe verleihen. Der Hauptunterschied ist die Dicke der gebildeten Kanäle, die bei den Vogelfedern ungefähr 200 Nanometer und beim Gummi 800 Nanometer beträgt.

Die Mikrostruktur einer Feder (B) des Rotkehl-​Hüttensängers (Sialia sialis) (A), rechts dieselbe Struktur aus dem Labor (D). (Grafik: aus Fernández-​Rico, C., et al. Nature Materials, 2023)

Das Prinzip, das der Netzwerkbildung zugrunde liegt, ist die Phasentrennung. Dieses Phänomen kann man in der Küche bei einer Salatsauce aus Öl und Essig beobachten. Die beiden Flüssigkeiten zu mischen ist nicht einfach und gelingt am besten durch kräftiges Schütteln. Hört man mit dem Schütteln auf, trennen sich die Flüssigkeiten wieder. Mischen kann man sie aber auch, indem man die Phasen erwärmt und – um sie zu trennen – wieder abkühlt. Genau dieses Prinzip haben die Forschenden genutzt, um den Polymergummi und die ölhaltige Flüssigkeit zu vermischen. Dies führte zur Bildung eines ganzen mikroskopischen Netzwerks von Kanälen im Inneren des Gummis.

Erstautorin Carla Fernández Rico sagt: «Wir können die Bedingungen so kontrollieren und bestimmen, dass sich bei der Phasentrennung Kanäle bilden. Wir haben es geschafft, den Prozess anzuhalten, bevor die beiden Phasen wieder komplett miteinander verschmelzen.» Diese kanalartige Struktur ähnelt sehr stark den Strukturen der Vogelfeder.

Ein Polymer wird in eine ölige Flüssigkeit gelegt und erwärmt. Dadurch vermischen sich das Polymer und das Öl und bilden ein Netz. Wird das Material danach auf Raumtemperatur abgekühlt, ist das Netzwerk zu erkennen, das durch die Phasentrennung entstanden ist. (Grafik: aus Fernández-​Rico, C., et al. Nature Materials, 2023)

Der Vorteil dieser neuen Methode ist, dass das neue Material mehrere Zentimeter gross und weiter skalierbar ist. «Im Prinzip kann man ein beliebig grosses Stück gummiartigen Plastik verwenden. Allerdings braucht es dann auch entsprechend grosse Behälter und Öfen», sagt Fernández Rico.

Die neue Art der Materialverarbeitungsmethode weckt grosses Interesse in der Physikgemeinde. «Wir haben ein einfaches System mit nur zwei Bestandteilen, aber die Struktur, die wir erhalten, ist sehr komplex und wird durch die Eigenschaften der Bestandteile gesteuert», sagt Fernández Rico. «Mehrere Gruppen haben uns kontaktiert und empfehlen den Einsatz von Modellen, um die grundlegenden physikalischen Prinzipien dieses neuen Prozesses zu verstehen und seine Ergebnisse vorherzusagen.»

Längeres Batterieleben und bessere Filtration

Das neue Material birgt Potenzial für technische und nachhaltige Anwendungen. Ein mögliches Anwendungsgebiet sind Batterien. In Batterien bewegen sich die Ionen normalerweise zwischen den Elektroden durch eine Flüssigkeit, den sogenannten Elektrolyten. Einer der Hauptgründe, warum Batterien im Laufe der Zeit an Ladung verlieren oder sogar kaputt gehen, ist, dass die Ionen mit den flüssigen Elektrolyten reagieren, wodurch die beiden Elektroden in Kontakt kommen und die Batterie beschädigen. Flüssige Elektrolyte könnten durch feste Elektrolyte mit einer Netzwerkstruktur aus miteinander verbundenen Kanälen ersetzt werden – so wie es die ETH-​Forschenden gezeigt haben. Dadurch würde der physische Kontakt zwischen den Elektroden vermieden und gleichzeitig ein guter Ionentransport durch die Batterie gewährleistet.

Wasserfilter könnten eine weitere Anwendung sein. Gute Transporteigenschaften über das Kanalnetzwerk und eine grosse Oberfläche sind hier von Vorteil. Bei den kanalartigen Strukturen ist das Verhältnis der Oberfläche zum Volumen enorm. Dies ermöglicht die effiziente Entfernung von Verunreinigungen wie Bakterien oder Schmutzpartikeln aus dem Wasser.

Die Forschung in Richtung Nachhaltigkeit weiterentwickeln

«Allerdings ist das Produkt noch lange nicht marktreif», sagt Fernández Rico, «Der verwendete Gummi ist günstig und einfach erhältlich. Die ölige Lösung ist hingegen sehr teuer. Hier braucht es eine billigere Alternative.»

Carla Fernández Rico möchte ihre Forschung in Richtung Nachhaltigkeit weiterentwickeln: «Viele natürliche Polymere wie Zellulose oder Chitin haben eine ähnliche Struktur wie der Gummi, den wir bei unserer Arbeit verwendet haben.» Die Arbeit mit einem natürlichen Material wie Zellulose ist zudem umweltfreundlicher als der mit aus Erdöl gewonnene Silikongummi. Die Postdoktorandin möchte daher herausfinden, wie solche Materialien funktioneller gemacht werden können, um deren Potenzial auszuschöpfen.

Source: ETH Zürich