Mit flexiblen Wärmepumpen die Industrie elektrifizieren

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Forschende der ETH Zürich und der Ostschweizer Fachhochschule haben einen neuen Ansatz für Wärmepumpen entwickelt. Damit kann die Industrie CO2-freie Prozesswärme mit Temperaturen bis 200 Grad erzeugen und noch dazu die Anzahl an verschiedenen Wärmepumpen drastisch reduzieren.

12.06.2024 von Christophe Elhardt

Mehr als ein Drittel der weltweiten Treibhausgasemissionen entfallen auf die Industrie – mehr noch als auf die Stromerzeugung oder den Verkehr.

In Kürze

  • Für ihren neuen Ansatz verwenden die Forschenden ein Gemisch aus zwei Komponenten. Das steigert die Effizienz um bis zu 25 Prozent.
  • Durch Anpassung der Gemisch-Zusammensetzung können die Wärmepumpen einfach verschiedene Wärmequellen nutzen und unterschiedliche Temperaturen erzeugen.
  • Besonders interessant ist die neue Technologie für die Elektrifizierung von Prozesswärme in der Lebensmittel-, Chemie und Pharmaindustrie.

Egal, ob für die Produktion von Lebensmitteln und Getränken, die Herstellung von Medikamenten, Metallen und Papier oder für die Veredelung von Oberflächen und Textilien: die Industrie braucht Prozesswärme. Einen grossen Teil davon erzeugen Unternehmen weiterhin, indem sie fossile Brennstoffe verbrennen. Damit ist die Erzeugung von Prozesswärme für einen grossen Teil der weltweiten Treibhausgasemissionen der Industrie verantwortlich. In der Schweiz macht dieser Bereich rund 8 Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen aus.

Prozesswärme bis 200 Grad Celsius könnte die Industrie bereits heute umweltschonend mit industriellen Wärmepumpen erzeugen, die Strom aus erneuerbaren Energiequellen nutzen. Trotz dieses Potenzials sind Wärmepumpen in der Industrie aber noch eine Seltenheit. Der Grund dafür ist, dass bestehende Modelle meist teure Sonderanfertigungen sind, die speziell für eine bestimmte industrielle Anwendung und Temperatur entwickelt wurden.

Forschende der ETH Zürich und der OST – Ostschweizer Fachhochschule in Buchs haben nun einen Weg gefunden, wie Wärmepumpen flexibel und günstig Wärme mit unterschiedlichen Temperaturen bis 200 Grad erzeugen können. Da dies eher den Bedürfnissen der Industrie entspricht als die am Markt verfügbaren Lösungen, haben bereits zahlreiche Schweizer und internationale Unternehmen ihr Interesse an der Technologie bekundet.

Auf dieser Versuchsanlage testeten die Forschenden ihren neuen Ansatz. (Bild: OST – Ostschweizer Fachhochschule. )

Wärme aus der Umwelt nutzen

Wärmepumpen nutzen die in Abwärme, der Umgebungsluft, dem Grundwasser oder dem Erdreich gespeicherte Energie. Sie erzeugen Heiz- oder Prozesswärme, indem sie in einem geschlossenen Kreislauf ein Kältemittel verdampfen lassen und das Gas mit einem Kompressor verdichten. Dadurch steigt die Temperatur des Gases, und die so gewonnene Wärme kann zum Heizen oder für industrielle Prozesse genutzt werden.

Bei herkömmlichen Wärmepumpen hängt es vor allem vom Kältemittel ab, welche Temperatur und welcher Temperaturverlauf möglich ist. Alle Komponenten der Wärmepumpe – Verdampfer, Kompressor, Verflüssiger und Drossel – sind auf dieses Kältemittel zugeschnitten. Hat ein Unternehmen in seiner Fabrik mehrere Wärmebedarfe mit jeweils unterschiedlichen Temperaturen, sind dafür aktuell noch verschiedene Wärmepumpen mit unterschiedlichen Kältemitteln nötig. Da dies teuer und umständlich ist, haben sich Wärmepumpen in der Industrie bisher noch nicht durchgesetzt.

Kältemittelgemisch ermöglicht Flexibilität

Geht es nach André Bardow, Professor für Energie- und Prozesssystemtechnik an der ETH Zürich, soll sich das bald ändern: «Statt eines einzigen Kältemittels verwenden wir ein Gemisch. Damit kann eine Wärmepumpe verschiedene Wärmequellen nutzen und unterschiedliche Temperaturverläufe erzeugen.»

Je nach Anwendungen wird eine unterschiedliche Zusammensetzung des Gemischs benötigt. Der Vorteil daran ist, dass Unternehmen nicht mehr die ganze Wärmepumpe neu designen müssen, wenn sie eine andere Temperatur brauchen. Sie müssen lediglich das Gemisch anpassen, was deutlich günstiger und einfacher ist.

Das Gemisch selbst besteht neben einem klassischen Kältemittel aus einer weiteren Komponente. Der Temperaturverlauf der Wärmepumpe hängt vom Verhältnis dieser beiden Inhaltstoffe ab. «Im Prinzip sind beliebig viele Verläufe für industrielle Prozesse unter 200 Grad möglich. Das ist die grosse Stärke unserer Technologie», sagt Bardow.

Optimale Mischung mit Computermodell gefunden

Um die geeigneten Komponenten für das Kältemittelgemisch zu finden, haben die Forschenden ein Computermodell entwickelt, das den Wärmepumpenkreislauf mit verschiedenen Gemischvarianten simuliert. «Wir haben bestehende thermodynamische Modelle zur Funktion von Wärmepumpen erweitert, indem wir neben den Komponenten der Wärmepumpe auch die Zusammensetzung des Gemisches in die Optimierung integriert haben», erklärt Dennis Roskosch, Senior Scientist in Bardows Forschungsgruppe.

Das Modell der Forschenden greift dabei auf über 200 Millionen bekannte synthetische Moleküle zurück und simuliert, mit welchem Gemisch aus zwei Molekülen die Wärmepumpe am effizientesten funktioniert.

Erste Partner für Pilotanlage

Nachdem die Forschenden das optimale Kältemittelgemisch gefunden hatten, testeten sie es erfolgreich im Wärmepumpenlabor der OST – Ostschweizer Fachhochschule. . «Wir konnten nachweisen, dass unser Gemisch wie vorhergesagt die Effizienz einer am Markt erhältlichen industriellen Wärmepumpe um bis zu 25 Prozent steigert», sagt Professor Stefan Bertsch, der Leiter des Wärmepumpenlabors. Zudem zeigten die Forschenden, wie sich verschiedene Zusammensetzungen des Gemisches auf den Temperaturverlauf auswirkten.

In einem nächsten Schritt wollen sie noch konkreter werden und demonstrieren, welches Potenzial ihre Technologie für spezifische, industrielle Anwendungen hat. Besonders interessant dürfte die neue Wärmepumpe für die Lebensmittel-, Pharma- und Chemieindustrie sein, wo zahlreiche Prozesse weniger als 200 Grad erfordern.

Gleichzeitig arbeiten die Forschenden eng mit einigen Herstellern von Wärmepumpen wie MAN Energy Solutions oder Scheco AG und mit Schweizer Industriepartnern wie Lindt zusammen. Der nächste Schritt ist die Planung und der Bau einer Pilotanlage, um weitere Tests zu ermöglichen.

Source: ETH Zürich